Hallo alle zusammen und Happy Birthday to me!
Heute werde ich 30 Jahre alt und dies ist ein Tag, der für mich mit vielen verschiedenen Emotionen verbunden ist. Einerseits ist da die positive Aufregung die jedem Geburtstag anhaftet und die mich begleitet seitdem ich ein Kind bin, auch wenn sie heute deutlich schwächer ist als damals. Andererseits ist da diesmal diese Emotion tief in meinem Inneren, die ich nicht benennen, sondern nur spüren kann.
Ich weiß, viele Frauen sprechen nicht öffentlich darüber, wie es für sie ist Dreißig zu werden. Meist sind es Gespräche nur geführt hinter geschlossenen Türen mit den Menschen, die einem am nächsten stehen, weil wir nicht verletzlich, nicht ängstlich erscheinen wollen. Ich allerdings möchte damit brechen, indem ich euch heute sage, dass mein Geburtstag für mich diesmal nicht nur eine schöne Sache ist, sondern von unzähligen Emotionen begleitet ist.
Ich weiß, dass für jeden diese Erfahrung eine andere ist, aber ich möchte heute meine Sicht auf die Dinge mit euch teilen. Wer das nicht möchte, kann einfach weiter runterscrollen und findet dort das versprochene Bonus-Kapitel 영원히 = Für immer.
Der heutige Tag ist begleitet von einem eigenwilligen Mix aus Unsicherheit, Zweifel und Fragen aber auch Freude, Dankbarkeit und Stolz.
Unsicherheit, weil ich nicht weiß, was die Zukunft für mich bereit hält und ich das Gefühl habe auf einer Schwelle zu stehen, von der aus mein Leben entweder in die eine oder die andere Richtung gehen kann.
Zweifel, weil ich mir mein Leben mit Dreißig mit Anfang Zwanzig ganz anders vorgestellt habe und ich mich frage, ob ich irgendwo falsch abgebogen bin oder das Schicksal genau diesen Pfad für mich vorgesehen hat.
Fragen, die mich nicht loslassen und sich alle um eine Sache drehen: Where do i go from here?
Aber da ist nicht nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen all die Dinge, die mich heute Lächeln lassen, obwohl da lauter Knoten in meinem Herzen und Hirn sind, die ich nicht allein entwirren kann.
Da ist Freude darüber, dass ich meinen Geburtstag im Kreise der Menschen feiern kann, die mir die Liebsten sind und ohne die ich nicht da wäre, wo ich jetzt bin (Hier einen Dank an jeden einzelnen von euch - ihr wisst, wer ihr seid.)
Dankbarkeit, dass ich beruflich das machen kann, was mich glücklich macht und ich sogar davon leben kann, was ich einzig und allein meinen Leser*innen zu verdanken habe, die diesen Traum für mich Wirklichkeit werden lassen, und das jeden Tag aufs Neue.
Und zuletzt ist da Stolz. Stolz darauf, dass ich noch immer hier bin, obwohl ich ganz lange nicht geglaubt habe meinen dreißigsten Geburtstag zu erleben. Weil ich geglaubt habe, dass ich nicht stark genug bin um gegen die flüsternden Monster in meinem Kopf anzukommen, die mir zuflüstern, dass es einen anderen Weg gibt.
Aber ich bin noch immer hier. Trotz allem. Und wenn das kein Grund zu feiern ist, dann weiß ich auch nicht.
Genau deshalb möchte ich heute dieses Bonus-Kapitel zum S(e)oul-Duett mit euch teilen.
Es ist eine ganz persönliche und sehr wichtige Reihe für mich, die mein Leben und auch mich für immer verändert hat. Jade und Hyun-Joon haben mir eine Möglichkeit gegeben an mir selbst zu wachsen, mich mir selbst zu stellen und dabei zu heilen. Diese beiden sind etwas ganz Besonderes für mich und deshalb kann ich mir niemanden vorstellen, dem ich alles Glück der Welt mehr gönne als diesen beiden.
Außerdem dient es auch als Dank an euch alle, denn ihr habt Jade und Joon einen Platz in euren Bücherregalen und euren Herzen eingeräumt. Im Laufe dieser Dilogie haben wir alle viel durchgemacht. Ich hoffe, dieses Bonus-Kapitel gefällt euch und lässt euch zweifellos wissen, dass Jade und Joon es geschafft haben.
Sie sind glücklich, trotz all der Steine, die das Leben ihnen in den Weg gelegt hat.
Und ihr könnt das auch. Genau so wie ich.
Alles was ihr dafür tun müsst, ist einen Fuß vor den anderen zu setzen und weiterzumachen. Denn glücklich sein, ist kein Dauerzustand. Es ist ein Prozess, eine Aufgabe, eine Entscheidung.
Aber eine, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Jetzt und für immer.
Danke, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt, damit ich meine Gedanken mit euch teilen kann und jetzt wünsche ich euch viel Spaß mit Jade und Hyun-Joon.
Anmerkung: Diese Bonus-Story spielt nach den Geschehnissen der Hauptstory von Blue S(e)oul Nights und Golden S(e)oul Days, aber vor dem Epilog, den ihr in GSD lesen könnt. Eine Spoiler-Warnung ergibt sich damit von selbst. Bedenkt auch bitte, dass diese Geschichte zwar Korrektur gelesen wurde, aber kein Lektorat erhalten hat. Sie ist nicht Teil der veröffentlichten Bücher und dient einzig und allein eurer Unterhaltung. Wer möchte, kann während des Lesens den Song "ONLY" von Lee Hi hören. Dieses Lied hat mich während des gesamten Schreibprozesses begleitet.
xoxo
Bild: pixabay.com & Verwendung einer Illustration von © Hwang Se-Rim
영원히 = Für immer
Dinge veränderten sich. Alles ist dem ständigen Wandel der Zeit unterworfen, der Seoul im Frühling in unzählige Schattierungen von Rosa und den Schimmer erwachender Verbindungen hüllte, bevor im Sommer ein klares Blau die Stadt in schwüle Hitze tauchte und dann der Herbst mit seinen Gold- und Brauntönen und dem leisen Flüstern fallender Blätter regierte, ehe das Grau-Weiß des Winters mit seinen warmen Düften von Backwaren und Zimt Einzug hielt und kurz darauf alles von vorne begann.
Derzeitig herrschte eisiges Weiß über die Straßen, die mir so vertraut geworden waren, in den letzten zwei Kreisläufen der Zeit, die ich als Teil des großen Ganzen verbracht hatte. Die Zeit hatte mich hier verwurzelt, in dieser rastlosen Metropole, deren hämmernden Puls ich in meiner eigenen Brust spüren konnte wann immer ich mich unter die Menschen mischte die, genau wie ich, längst ein Teil von ihr geworden waren.
Der Schnee stand knöchelhoch als ich mich durch die Menschenmenge vor der U-Bahn Station Seongsu schob. Die meisten von ihnen waren gewiss an diesem Abend hergekommen um sich die Lichter anzusehen, die im Dezember die Nachbarschaft zierten, die mehr und mehr zum Künstlerviertel wurde. Mich hier zurecht zu finden war leicht, denn Hyun-Joon und ich kamen oft in unserer gering bemessenen Freizeit hierher. Gemeinsam verloren wir uns in den schmalen Gassen, sahen uns die neusten Ausstellungen an oder kehrten in eins der unzähligen heimeligen Cafés ein, wo wir dicht beieinander sitzend in der Nähe des anderen schwelgten um mit Koffein die verbleibende Müdigkeit in unseren Knochen zu vertreiben. Manchmal redeten wir über alles und nichts. Manchmal herrschte Schweigen während Hyun-Joon ein Buch las und ich zeichnete. Aber immer war ich froh meine Zeit mit dem Menschen zu verbringen, der mir am wichtigsten war.
Auch heute traf ich mich mit Hyun-Joon in dieser Nachbarschaft, die sich neben Itaewon, wo Hyun-Joons Familie lebte, und Gwangjin, wo ich arbeitete, längst wie mein zuhause anfühlte. Doch die Adresse, die er mir in meiner Mittagspause, mit der Bitte ihn hier heute Abend zu treffen, geschickt hatte, war mir neu.
Es war keine der kleinen Galerien in die wir regelmäßig gingen damit ich mir Inspiration holen und Hyun-Joon das ein oder andere Kunstwerk für einen der Standorte des SONDER erstehen konnte. Sie lag auch nicht in der kleinen Seitenstraße voller Fotostudios zwischen denen sich Läden für Belichtung und Kamera-Equipment angesiedelt hatten in denen Joon Stunden verbringen konnte. Er war immer auf der Suche nach neuen Objektiven oder auf der Jagd nach anderen Kameras die sein Können als Fotograf auf die Probe stellten. Eine beachtliche Sammlung lagerte bereits in meiner Wohnung, die eigentlich mehr die unsere war. Jetzt wo Hyun-Ah seit einer Weile zurück und vor allem glücklich und zufrieden war und Hyun-Sik an seiner Schule endlich angekommen und akzeptiert wurde, war Hyun-Joon immer weniger im Kang-Haushalt eingespannt und irgendwie war es dann einfach so passiert. Mit jedem Wochenende das er bei mir verbrachte waren mehr und mehr seiner Sachen zu mir hinübergewandert. Aus den Wochenenden waren Wochen und dann Monate geworden und jetzt musste Hyun-Joon seine Sachen bei mir packen, wenn er doch mal in seinem Elternhaus schlafen wollte, etwas das er nur noch sehr selten tat, meist dann, wenn es im Café in Itaewon viel zu tun gab.
Meine Wohnung glich einem geordneten Chaos. Objektiv betrachtet war sie viel zu klein für zwei Erwachsene mit Unmengen an künstlerischem Equipment und einem hoffnungslos verwöhnten Kronprinzen von einem Kater, dem seiner Meinung nach eh alles gehörte was seine Tatzen erreichen konnten. Aber es war unser gemeinsames Chaos, mit all seinen Schattierungen aus Indigo, Gold und Rot das ich mehr liebte als alles andere auf dieser Welt. Der mangelnde Platz war mir da vollkommen gleich, denn allein der Gedanke an unser gemeinsames Heim wärmte mich und schmolz die letzten scharfkantigen Ränder meines Mosaikherzens, dessen Bruchstücke sich über die letzten zwei Jahre hinweg mehr und mehr wieder zusammengefügt hatten.
Es war nicht perfekt. Es war nicht heil. Aber es war wunderschön.
Die Kälte des Winters fraß sich trotz der warmen Gedanken durch meinen dicken Mantel hindurch und ich fröstelte. Wenigstens zeigte mir die Navigation auf meinem Handy, das mich nur noch zwei Straßen von meinem Ziel trennten und zum Glück vertraute ich Hyun-Joon genug um mich von den ganzen leerstehenden Gebäuden um mich herum nicht abschrecken zu lassen als ich endlich in die kleine Seitengasse einbog auf dessen Hälfte die mechanische Stimme in meinen Kopfhörern aus mir verkündete, ich sei endlich am Ziel.
Allem Vertrauen zum Trotz beäugte ich doch eher skeptisch das Gebäude welches nun vor mir lag während ich meine Kopfhörer heraus nahm und wegsteckte.
Ich hatte vieles erwartet. Ein brandneues Café vielleicht oder ein Pop-Up Restaurant. Vielleicht auch ein kleiner Laden, immerhin war bald Weihnachten und wir hatten noch kein einziges Geschenk besorgt weil es um unsere Zeit knapp bestellt war, jetzt wo die alljährliche Institutsausstellung unmittelbar bevorstand und Hyun-Joon nach seinem Abschluss mit der Übernahme der Cafés seiner Mutter alle Hände voll zu tun hatte.
Doch eine einstöckige Lagerhalle aus rotem Ziegelstein und milchigen Fensterscheiben war nicht auf der langen Liste meiner Erwartungen gewesen. In Seoul hatte ich längst gelernt ein Gebäude nicht nach seinem äußeren zu beurteilen, denn erst letzten Monat hatten Hyun-Joon und ich an einer Vernissage in einer alten und zerfallenen Wäscherei teilgenommen die kurz danach zum absoluten Hotspot geworden war. Dieses Gebäude allerdings stand offensichtlich leer, denn ein paar der Fenster waren noch mit Brettern zugeschlagen und auch die Eingangstür schien an den letzten seidenen Fäden ihrer Scharniere um ihr Leben zu bangen. Keine schlicht-eleganten oder wild-verzierten Schilder deuteten auf ein Event hin und auch der Mangel an Licht und Geräuschen aus dem Inneren ließ mich wissen, dass diese Lagerhalle genau das war was sie auf den ersten Blick vermuten ließ: Verlassen.
Ich sah mich nach Hyun-Joon um, doch keine Menschenseele war in der Seitenstraße zu sehen sodass ich kurzerhand seine Nummer wählte. Nach nur zwei Mal klingeln nahm er ab.
»Jade.« Hyun-Joon klang nervös und ich runzelte die Stirn. Mein Freund war nicht nervös. Niemals. Außer vielleicht wenn Hyun-Sik mal wieder in einem Ansturm vor-pubertärer Lichtsinnigkeit einen gewagten Trick auf dem Skateboard hinlegte oder Hyun-Ah von ihrem Vorhaben ins Künstlermanagement einzusteigen erzählte, von dem ihr großer Bruder wegen des Stresses und der harschen Realität der Kunst- und Kulturwelt so gar nichts hielt auch wenn er sie in ihrem Vorhaben trotzdem unterstützte. »Bist du schon da?«
»Das kommt ganz darauf an. Wenn du mit da eine Lagerhalle aus rotem Ziegelstein meinst die, zugegebenermaßen, ein bisschen gruselig aussieht, dann wohl schon.«
»Okay.« Er räusperte sich unbeholfen und zweifelnd nahm ich das Handy vom Ohr um zu prüfen ob ich wirklich die Nummer von Kang Hyun-Joon gewählt hatte. Doch mein Display verkündete mir das ich richtig lag, auch wenn diese unsichere und nervöse Version meines Freundes, der sonst sehr selbstsicher und charmant daherkam, fremd war. Als er wieder zu sprechen begann presste ich mir das Telefon sofort zurück ans Ohr um keins seiner Worte zu verpassen, die mir nur noch mehr Rätsel aufgaben. »Die Tür ist auf. Komm einfach rein.«
»Alles klar«, sagte ich und verkniff mir einen Kommentar darüber, dass ziemlich jeder Horrorstreifen in der Filmgeschichte so begann ehe ich auflegte. Joon schien auch so schon genug von der Rolle zu sein, da musste ich ihn nun wirklich nicht mit einem Scherz noch mehr aus dem Konzept bringen.
Die Tür knatschte laut als ich sie aufzog und ich huschte hinein. Meine Augen brauchen einen Moment um sich von dem grellen Licht der Straßenlaternen auf den schummerigen Schein einzustellen, der die weitläufige Halle mit ihrem Boden aus Gussbeton erhellte, zu dem ich die drei Stufen hinter der Eingangstür hinabstieg.
»Joon?«, rief ich in die Stille hinein als ich mich weiter in den großzügigen Raum vorwagte und doch keine Antwort erhielt. Es war überraschend angenehm, was wohl an den zwei Heißstrahlern lag die die Handwerker aufgestellt haben mussten, wenn man den herumliegenden Werkzeugen auf dem provisorisch aufgestellten Arbeitstischen und den ausgebreiteten Bauplänen Glauben schenken durfte. Ihre Wärme drang durch meinen Mantel und sorgte dafür, dass ich die Schultern ein wenig sinken ließ und aufhörte, meine Hände wie wild aneinander zu reiben als ich mich in der weitläufigen Halle nach meinem Freund umsah, von dem noch immer jede Spur fehlte obwohl er es war, der mich herbestellt hatte. »Joon, wo bist du?«
»Ich bin hier«, kam es aus dem hinteren Teil der Lagerhalle, der mit großen Planen vom Rest abgetrennt worden war und mir das volle Ausmaß des Gebäudes vorenthielt, dessen Oberlichter ich erst bemerkte als ich unter ihnen hindurch in Richtung der Stimme ging, die mir so vertraut war wie meine eigene. Schnee lag auf ihnen, doch ein bisschen Mondlicht schien dennoch silbrig hindurch und kämpfte tapfer gegen die Dunkelheit der Nacht an.
»Joon, bist du dir sicher dass wir hier sein dürfen?« Mit einem Arm schob ich die Abtrennung ein Stück beiseite und lächelte als Hyun-Joons Hand in meinem Blickfeld erschien, die ich ohne zu zögern ergriff und mich von ihm hinter die Plane ziehen ließ, die nach mir zufiel und mich einen Moment lang in Dunkelheit hüllte. Seine Hand war warm und vertraut, so wie die Ringe die sich in kaltem Kontrast gegen meine Haut drängten als Hyun-Joon unsere Finger miteinander verflocht, unzertrennlich, unendlich. »Ich glaube nämlich nicht, dass es so kurz vor Weihnachten klug wäre sich bei Hausfriedens-«
Licht erhellte das Dunkel und alles was ich für den Bruchteil einer Sekunde sehen konnte war gleißendes Weiß ehe meine Augen sich an das grelle Licht der Baustrahler gewöhnten, das so viel heller war als die wenigen kleinen elektrischen Laternen die auf der anderen Seite der Plane brannten. Ich blinzelte hektisch um die Flecken zu vertreiben die vor meinen Augen tanzten und die meine Welt verschwommen machten die sich nur langsam wieder scharf stellte, wie eine Kamera deren Fokus neu eingestellt wurde.
Für einen Augenblick sah ich nur Rot.
Rote Seile waren an der Decke gespannt worden von denen rote Fäden hinabhingen, an dessen Enden Fotos und Skizzen baumelten. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich zu erkennen was ich da sah und hielt überrascht inne. Ich kannte jedes einzelne Bild und jede einzelne Zeichnung. Sie alle waren in meiner Erinnerung verewigt, wo ich sie im Tresor meines Herzens vor den Zeichen der Zeit schützte. Es waren Fotos und Skizzen aus unserer gemeinsamen Zeit. Aus unserem gemeinsamen Leben.
Das erste Bild das ich erspähte war eine Fotografie, die mindestens fünf Jahre alt sein misste. Es zeigte mich vor einem riesigen Wandgemälde, einem wunderschönen Kunstwerk das auf Stein und Mauern die ganze Bandbreite der koreanischen Frühlingsblüten abgebildet hatte. Ich erinnerte mich gut daran wie ich mit Hyun-Joon durch Seongsu geschlendert war, er mit gezückter Kamera und immer bereit abzudrücken während ich mich nur staunend umgesehen hatte bei all der Schönheit die uns umgab, welche den alten Lagerhallen des Viertels etwas ganz Besonderes verlieh. Das Gemälde an der Wand gab es längst nicht mehr. Über die Jahre war es etwas Neuem gewichen. Etwas anderem. Aber wir waren noch immer hier, fünf Jahre nach unserem ersten Date, das alles verändert hatte. Das mich für immer verändert hatte. Und auch uns.
Erinnerungen schnürten mir die Kehle zu und ich drückte Hyun-Joons Hand fester als Gegenwart und Vergangenheit miteinander verschwammen und ich glaubte, den Duft von fallender Kirschblütenblätter in der Nase zu haben, während blaue und rosafarbene Neonlichter meinen Verstand fluteten.
»Entschuldige, wenn es eine dumme Idee war. Es hat nur heute den Eindruck auf mich gemacht, als würdest du die Malerei wirklich vermissen, also habe ich mir gedacht, es könnte nicht schaden, dir einen Laden für Künstlerbedarf zu zeigen.«
»Wieso?«, wisperte ich atemlos, unfähig, irgendwo sonst hinzusehen als zu dem bunten Sammelsurium aus Farben, Pinseln, Stiften und unzähligen anderen Dingen, die man zum Malen brauchte.
»Weil es so auf mich wirkte, als würde Kunst dich glücklich machen.«
An diesem Tag hatte Hyun-Joon die Basis für das Leben geschaffen, welches ich jetzt, als Lehrerin an einem Kunstinstitut und als rechte Hand ihres Leiters, während ich in einem atemberaubenden Atelier über den Dächern Seouls meine Bilder malen durfte, führte. Und er hatte Recht behalten. Kunst machte mich glücklich. Genau so sehr wie der Mann an meiner Seite, der sie mir vor all den Jahren erst hatte zurückgeben müssen.
Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch Joon anzublicken und mich weiter in dieser Ausstellung unserer gemeinsamen Vergangenheit umzusehen, zog ich ihn an der Hand näher zu mir heran bis meine Seite an seiner lehnte und zwischen uns kein Blatt Papier mehr passte. Genauso mochte ich es am liebsten. Ich schmiegte mich näher an seine Seite und schwelgte in seiner vertrauten Wärme.
»Wann hast du das alles auf die Beine gestellt?« Zwischen Buchhaltung, Materialbeschaffung, Bewerbungsgesprächen und all den anderen Dingen die nun zu seinem Tagesgeschäft gehörten wusste ich, dass er kaum Zeit für irgendetwas anderes als seine Arbeit und uns hatte. Wie er es also unbemerkt geschafft hatte all die Fotografien und Skizzen zusammenzutragen, von denen ich wusste das einige aus dem Institut, andere aus meinem Atelier und ein Großteil aus unserer Wohnung stammten, war mir schleierhaft.
»Erinnerst du dich dass ich auch die letzten paar Wochen immer mal wieder bei meiner Mutter geschlafen habe um etwas für die Arbeit zu erledigen?« Die Worte waren nur ein Flüstern, ein kleines Geständnis gemurmelt im grellen Licht der Baustrahler vor denen sich keiner von uns beiden verstecken konnte. »Da hab ich das meiste ausgedruckt und rausgesucht. Außerdem hatte ich ein bisschen Hilfe von deinen Schülerinnen und Schülern sowie ein paar Kolleginnen und Kollegen.«
Ich streckte die Hand aus und berührte die Kohlezeichnung seiner Hände die seine Kamera hielten. Die erste Zeichnung die ich von Hyun-Joon anfertigte. Es war das erste Mal gewesen, das ich überhaupt wieder einen Stift in die Hand nahm. Vor Rührung wusste ich nicht was ich sagen sollte und so kam mir nur ein gepresstes »Du bist doch verrück« über die Lippen anstelle all der Dinge die ich ihm sagen wollte.
Wie zum Beispiel wie dankbar ich war dass es ihn gab, wie sehr ich ihn liebte, oder dass ich nur einen einzigen weiteren Tag an seiner Seite mit Freuden gegen ein langes Leben ohne ihn austauschen würde, wenn ich es denn müsste. Aber wie immer brachte ich keinen Ton heraus, stumm im Angesicht all der Gefühle die ich tagtäglich für ihn hegte, die mich aber in Momenten wie diesen schlichtweg überwältigten.
»Gefällt es dir?«
Der unsichere Tonfall in seiner Stimme schaffte es, meine Zunge von meinem Gaumen zu lösen und ich stolperte über meine eigenen Worte bei dem Versuch diese Sorgen schnellstmöglich zu vertreiben. »Ich liebe es. Und ich liebe dich. Gott, ich liebe dich.« Die Worte platzten aus mir heraus so wie damals im SONDER als ich sie das erste Mal zu ihm sagte.
»Ich liebe dich.« Die Worte, die ich so lange mit mir herumgetragen hatte, ohne ihnen Leben einzuhauchen, flossen mit einem Mal aus mir heraus wie aus einer Farbtube, auf der man herumgedrückt hatte, bevor man die Kappe aufdrehte. »Ich liebe dich. Gott, ich liebe dich, und alles, was du tust, und alles, was du bist, und du hast absolut keine Ahnung, was du mir bedeutest, und was dieser Moment mir bedeutet, und dass du mich siehst, und dass du mich wahrnimmst und mich hältst und mich wissen lässt, dass ich am Leben bin«, die Worte sprudelten aus mir heraus, klecksten wie Farbe überall hin und malten ein neues Bild eines unordentlichen und unbeholfenen Liebesgeständnisses, »und mich annimmst, wie ich bin, und nicht zulässt, dass ich mich vor dir verstecke, und wie du mich trotzdem inspirierst, eine bessere Version von mir zu sein, und wie du alles von Indigo in Gold tauchst, und wie du lächelst und … Gott, ich liebe dich.«
Meiner ersten tollpatschigen Liebeserklärung waren über die Jahre unzählige weitere gefolgt, leider keine raffinierter oder roher als die Erste die der Grundstein für etwas war auf dem wir seitdem aufbauten, auch wenn wir zwischendurch unser gemeinsames Fundament verloren hatten. Zurückgefunden zueinander hatten wir trotzdem und für nichts auf dieser Welt war ich dem Schicksal dankbarer als für diese zweite Begegnung in Mrs Cho’s Jiigae-Restaurant, ganz gleich wie schmerzhaft sie auch gewesen sein mochte.
Hyun-Joon war hier. Er war wirklich hier. Nur wenige Meter von mir entfernt. Und doch fühlte es sich an, als lägen zwischen uns ganze Galaxien, getaucht in tiefste Dunkelheit und voller glitzernder Sterne, die mit ihrer Schönheit darüber hinwegzutäuschen versuchten, dass vollkommen ungewiss war, was einen im weiten Kosmos aller Dinge erwarten würde.
Er sah mich an, seine goldenen Augen groß wie Untertassen, als könnte er genauso wenig glauben, was hier gerade geschah. Seine Lippen, an deren Geschmack ich mich mit erschreckender Klarheit erinnerte, waren leicht geöffnet, und ich konnte erkennen, wie sein Adamsapfel sich bewegte, während er seinen Mund schloss und schluckte. Seine Oberlippe zuckte, und ich fühlte mich augenblicklich zurückkatapultiert zu jenem Abend vor drei Jahren, als er sie wütend hochgezogen und seine Zähne gebleckt hatte. Wie ein verletztes Tier in diesen indigoblauen Schatten, die mich nie wieder losgelassen hatten.
So wie mich auch sonst nichts von Hyun-Joon je wieder losgelassen hatte.
Sein Gold bedeckte die Leinwand meiner Seele, und meine Welt war mit seinen Farben überzogen. Wie Wasserfarbe auf nassem Papier hatte er seine Spuren hinterlassen, in der Mitte intensiv, die Farben zum Rand hin ausblutend und schleierhaft wie eine Erinnerung.
Ihn nicht anzusehen hielt ich keine Sekunde länger aus und als ich in seine honigbraunen Augen blickte, die im Licht golden strahlten, presste es mir genau so sehr die Luft aus den Lungen wie beim ersten Mal in diesem Club in Itaewon an den ich mich mit erschreckender Klarheit erinnerte, wie eine Momentaufnahme der Zeit in der wir beide jünger aber vor allem einsamer gewesen waren.
Es war unfair, dass er mir, mit jedem Mal das ich ihn ansah, schöner vorkam. Dabei kannte ich jeden seiner Gesichtszüge. Von den Grübchen in seinen Wangen wenn er lächelte und die ich mit Freuden immer häufiger sah seitdem wir aus Jeju zurückgekommen waren, zu der Narbe unterhalb seiner Augenbraue, die ich jeden Morgen küsste wenn ich aufstand und er noch einen Moment länger liegenblieb, bis hin zu der geraden Linie seiner Nase, die ich unzählige Male in der Dämmerung mit den Fingerspitzen nachgefahren war.
Sein Gesicht war mir vertrauter als mein eigenes. Jedes noch so kleine Detail hatte ich abgespeichert und doch entdeckte ich jedes Mal etwas Neues. Wie den leichten Rotschimmer auf seiner Nasenspitze der mich wissen ließ das er fror auch wenn er sich wohl eher die Zunge abbeißen würde als das zuzugeben. Erst jetzt fiel mir auf dass er keinen Mantel trug. Auch der lockere Pullover mit Rundhalsausschnitt und die dunkle Jeans von heute früh waren Geschichte.
Stattdessen stand Hyun-Joon in einem klassischen, dunkelgrauen Anzug mit doppelter Knopfleiste vor mir unter dessen Jackett er einen schwarzen Rollkragenpullover trug, während seine Beine in der zum Jackett passenden Hose steckten. Ich hatte ihn bisher nur ein einziges Mal in einem Anzug gesehen. Damals waren wir gemeinsam zum ersten Mal zum Urnengrab seines Vaters gefahren, ein Moment der mir noch immer so präsent war als wäre es gestern gewesen.
»Ich sehe meinem Vater wirklich sehr ähnlich, oder?«
»Ja«, sagte ich, strich mir eine Träne von der Wange und lehnte mich gegen ihn, in dem Wissen, dass der erste wichtige Schritt getan war. »Ja, das tust du.«
Hyun-Joon legte seinen Arm um meine Schulter und atmete tief durch, dann trat er mit mir zusammen näher an die Urnenkammer heran, bis er die Hand ausstrecken und sie auf das Glas pressen konnte. Er verzog das Gesicht, ließ die Hand aber nicht sinken. »Es ist kalt. Mein Vater … Mein Vater hatte nie kalte Hände.«
»So wie du.« Ich wandte mich Hyun-Joon zu und legte ihm eine Hand auf die Brust, direkt über das Herz, das darunter wie wild schlug. »Deine Hände sind auch niemals kalt.«
Plötzlich hatte ich einen großen Kloß im Hals den ich versuchte herunterzuschlucken. Meine Stimme klang trotzdem gepresst als ich in die Stille hinein fragte, »Joon, was ist hier los?«
Unruhig wechselte Hyun-Joon von einem Bein auf das andere, seine Finger genauso unruhig wie seine Füße als er mit seinen Fingerspitzen meine Fingerknöchel nachfuhr. »Ich-… Also ich wollte-« Er brach ab, schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Als er sie wieder öffnete, raubte die zärtliche Entschlossenheit darin mir den Atem. »Ich wollte dir unser gemeinsames Leben zeigen, Jade.« Er lehnte sich ein Stück herunter, seine Lippen warm als sie auf meinen Handrücken trafen ehe er meinen Arm nahm und ihn bei sich unterhakte. Er führte mich tiefer in die Ausstellung hinein bis ich von ihr umgeben war.
Hier eine Fotografie meiner nackten Haut im Licht des Morgenrots. Dort eine hastig gezeichnete Studie seiner wundgeküssten Lippen. Weiter entfernt eine Momentaufnahme von uns beiden vor dem Big Ben, aufgenommen nur vierundzwanzig Stunden bevor ich gemeinsam mit Hyun-Joon das Grab meines Vaters besucht hatte um sie einander vorzustellen. Wir schlenderten weiter, vorbei an Aufnahmen des letzten Sommers als wir seine Großeltern zum zweiten Mal auf Jeju besuchten, einer Skizze der Skyline von Tokio von unserer ersten gemeinsamen Reise außerhalb von Südkorea und einem kleinen viereckigen Gemälde auf dem wir beide bei einer weiteren Mal-Session in meinem Atelier unsere Handabdrücke verewigt hatten.
Hyun-Joon hatte sie alle zusammengetragen, diese kleinen Zeugnisse eines Lebens, das mir früher so grau und matt erschien, von dem ich heute aber wusste wie bunt, schillernd und wunderschön es war.
»Lange habe ich überlegt welche Bilder und Zeichnungen ich aufhängen soll«, sagte Hyun-Joon plötzlich in die Stille hinein während er mich weiter zwischen den Fäden hindurch führte an dessen Enden unser gemeinsames Leben hing. »Es gibt unzählige Dinge die ich dir zeigen und nochmal mit dir erleben will. So viele Momente die ich mit dir teilen will nur um dir zu sagen wie glücklich du mich in jedem einzelnen von ihnen gemacht hast. Denn das hast du, Jade. Du machst mich glücklich. Jeden Tag aufs Neue.« Wir bleiben stehen, mitten in dieser liebevoll zusammengestellten Ausstellung die mein Herz wie wild vor Glück flattern und meine Sicht vor unvergossenen Tränen der Rührung verschwimmen ließ. Er ließ meinen Arm los und ergriff stattdessen meine Hände, seine eigenen zittrig und auch ein bisschen klamm. »Ich hätte diese ganze Lagerhalle mit Bildern tapezieren können und es wäre trotzdem nicht genug gewesen um dir zu zeigen was du mir bedeutest. Außerdem wollte ich noch etwas Platz lassen für all die Erinnerungen die wir hoffentlich noch gemeinsam schaffen werden. Vielleicht sogar genau hier.« Er machte eine Geste die den ganzen Raum um uns herum einschloss.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe diese Lagerhalle gekauft. Ich will aus ihr ein neues Café machen. Zumindest aus dem Hauptraum. Aber«, er drückte die Schultern durch und umfasste meine Hände etwas fester, »aus dem Anbau, in dem wir jetzt gerade stehen, möchte ich ein Zuhause machen. Ein Zuhause für dich, für mich und für Joonie. Ein Zuhause in dem du in einem Atelier malen und ich im Café arbeiten kann. In dem wir morgens gemeinsam Frühstück machen und abends zusammen über eine dieser Variety-Shows lachen können die du so liebst. In dem wir darüber streiten können wer vergessen hat die Wäsche aufzuhängen oder darüber was für Essen wir bestellen sollen. In dem Platz ist für all deine Gemälde, meine ganzen Fotografien und unzählige Katzen die du retten und dann hoffnungslos verwöhnen wirst.« Er hob die Hand und strich die Tränen weg von denen ich nicht einmal bemerkt hatte dass sie fielen. »Ich will ein Zuhause in dem Platz für unser Leben ist, Jade. Ein Leben von dem ich dich fragen möchte, ob du es bis zum Ende mit mir verbringen willst.«
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Fragte Hyun-Joon mich gerade wirklich das was ich glaubte was er mich fragte? »Joon, was-«
»Ich weiß ich bin nicht immer einfach und ich weiß auch dass dieses Leben nicht einfach ist. Wir werden nicht nur gute Zeiten haben. Das wissen wir beide, denn wir haben schon mehr als genug davon gemeinsam durchgemacht.« Er sah mich an, in seinen goldenen Augen die all die Liebe, die auch ich für ihn empfand, reflektierten. »Es gibt niemanden auf dieser Welt, mit dem ich liebe die Irrungen und Wirkungen des Lebens durchmachen würde, Jade.« Er nahm die Hand von meiner Wange und ging vor mir auf ein Knie. Aus seiner Hosentasche zog er eine kleine, schwarze Schatulle hervor die er öffnete und mir dann in die Hand legte die er vorsichtig ergriff. Von schwarzem Samt aus funkelte mir ein Ring entgegen. Schlank, schlicht Silber mit einem einfachen Stein in dem sich das Licht brach und ein buntes Prisma erschuf das funkelnde Kristalle auf das Leben warf das uns umgab. »Deshalb möchte ich dich heute fragen: Jade Hall, würdest du mir die große Ehre erweisen und den Rest deines Lebens als meine Ehefrau an meiner Seite stehen?«
Über meine Antwort musste ich nicht eine Sekunde lang nachdenken. »Ja«, brachte ich unter Tränen hervor und wiederholte meine Antwort weil ich mir nicht sicher war ob er mich wirklich gehört hatte. »Ja, Hyun-Joon, ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Mit dir als mein Ehemann an meiner Seite.«
»Wirklich?«
»Ja. Gott, ja.«
Hyun-Joon kam so schnell auf die Füße, dass ich trotz der Tränen nicht anders konnte als zu lachen als er zweimal nach der Schachtel in meiner Hand greifen musste und sogar vier Anlaufe brauchte um den Ring - nein, den Verlobungsring - herauszuholen. Er steckte ihn mir an den Ringfinger und betrachtete ihn einen Moment lang bevor er die Lippen erst auf den kalten Stein und dann auf meinen Puls presste bevor er die andere Hand in meinen Nacken legte und unsere Lippen in einem unendlich zärtlichen Kuss verschmolzen.
Dieser Kuss schmeckte nach Liebe, Geborgenheit und dem Salz meiner Tränen.
Aber er war perfekt. So unendlich perfekt.
Hyun-Joon löste sich erst nach einer ganzen Weile von mir, seine eigenen Wangen tränennass als er seine Stirn gegen meine legte und seine Worte sich mit meinem Atem mischten. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich.«
»Jetzt und für immer.« Er stahl mir noch einen Kuss, bittersüß, unendlich, mit nichts als Liebe für die Vergangenheit und voller Versprechen für die Zukunft.
Unserer Zukunft.
»Jetzt und für immer.«
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